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GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT VON DER STEUER ABZIEHEN: NEUAUSRICHTUNG DER ROLLEN

7. October 2025

Interview mit Hugues Chatelain, Präsident von SocietyVision In einer fragmentierten Welt, in der soziale Bindungen zerfallen und Misstrauen wächst, verfügen Unternehmen über die Fähigkeit und Verantwortung, wieder zu Akteuren des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu werden. Durch den Aufbau langfristiger Kooperationen mit lokalen Organisationen können sie dazu beitragen, das soziale, kulturelle, sportliche und ökologische Gefüge unserer Regionen […]

Interview mit Hugues Chatelain, Präsident von SocietyVision

In einer fragmentierten Welt, in der soziale Bindungen zerfallen und Misstrauen wächst, verfügen Unternehmen über die Fähigkeit und Verantwortung, wieder zu Akteuren des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu werden. Durch den Aufbau langfristiger Kooperationen mit lokalen Organisationen können sie dazu beitragen, das soziale, kulturelle, sportliche und ökologische Gefüge unserer Regionen zu stärken. Mit SocietyVision präsentiert Hugues Chatelain eine mutige Vision: die Steuerpolitik zu einem Hebel für Wirkung zu machen, indem ein Teil der Unternehmenssteuern in gesellschaftliche Investitionen umgewandelt wird. Eine pragmatische Reform, um wirtschaftliche Leistung und Gemeinwohl miteinander zu versöhnen.

Im Rahmen von SocietyVision starten Sie eine Initiative, die den steuerlichen Abzug des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen vorsieht, die in wirkungsorientierte Kooperationen und Projekte investieren. Gleichzeitig setzen Sie sich für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands ein. Ist es da nicht widersprüchlich, die Steuerlast der Unternehmen zu senken?

Die von uns getragene Initiative ist genau genommen ein Hebel zur Umverteilung. Sie zielt darauf ab, Unternehmen eine direkte Verantwortung beim Aufbau des Gemeinwohls zu übertragen. Anstatt zunächst Steuern zu erheben und sie anschließend umzuschichten, schlagen wir vor, einen Teil der Unternehmensbesteuerung in langfristige Engagements zu lenken in soziale, kulturelle, ökologische oder bildungsbezogene Projekte und damit über klassische CSR-Politiken (Corporate Social Responsibility) hinauszugehen.

Mit anderen Worten: Unternehmen würden selbst zu Akteuren der Umverteilung?

Ganz genau. Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, ist aber ein zukunftsfähiges Modell. Wenn sich ein Unternehmen langfristig im lokalen Vereins- und Non-Profit-Netzwerk engagiert, entsteht geteilter Mehrwert für das Unternehmen selbst, für die Gesellschaft und für die Gemeinden. Es ist ein Ansatz, der allen nutzt: Die Steuer wird zu einem Motor der Wirkung, nicht nur zu einer Abgabe. Und wer könnte auf lokaler Ebene besser handeln als Unternehmen in Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen?

Das setzt voraus, dass Wirtschafts- und Sozialakteure zusammenarbeiten. Worauf gründet Ihr Modell?

Kooperation. Die Kooperation ersetzt den traditionellen Gegensatz zwischen privatem und öffentlichem Interesse. Wir sind überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen wirksamer zur gesellschaftlichen Transformation beiträgt als eine zentralisierte monetäre Umverteilung.

Wie funktioniert das konkret?

Das Modell beruht auf einem moralischen und wirtschaftlichen Vertrag: Ein Unternehmen kann seine Steuerlast senken, sofern es strukturiert, messbar und nachhaltig in wirkungsorientierte Projekte investiert in Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen. Diese Mittel verschwinden nicht länger in einem anonymen Steuerfluss, sondern werden vor Ort verankert, im Dienst des sozialen Zusammenhalts.

Bedeutet das, dass Sie den Staat nicht umgehen wollen?

Ganz und gar nicht. Wir wollen dem Staat helfen, seine Handlungsspielräume neu zu gestalten. Was wir vorschlagen, ist ein neuer Gesellschaftsvertrag: mehr direkte Verantwortung, mehr Transparenz und mehr Wirksamkeit.

Konkret gefragt: Welche Vorteile ergeben sich für die einzelnen Akteure?

Diese Initiative richtet sich an vier Anspruchsgruppen und entfaltet für jede von ihnen positive Wirkungen. Für Unternehmen bedeutet sie, eine Steuerlast in eine wirkungsorientierte Investition zu verwandeln. Sie stärken dadurch ihren lokalen Ruf, ihre Attraktivität als Arbeitgeber und ihre regionale Verankerung. Für gemeinnützige Organisationenbedeutet sie das Ende struktureller Unsicherheit: Sie gewinnen finanzielle Stabilität, können langfristig planen und arbeiten wirkungsvoller. Für die Bevölkerung entstehen mehr konkrete Projekte, die ihren alltäglichen Anliegen entsprechen – in den Bereichen Kultur, Sport, Arbeit, Umwelt, soziale Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Und schließlich profitieren auch die öffentlichen Körperschaften: Das gezielte, kooperative Engagement entfaltet einen Multiplikatoreffekt und ist wirksamer als eine zentralisierte Umverteilung. Es adressiert die Bedürfnisse im Kern – nahe bei den Menschen.

Zusammengefasst: Alle profitieren davon?

Ja. Es ist ein positiver Kreislauf. Wohlstand zirkuliert besser, wenn er Akteure miteinander verbindet, statt sie voneinander zu trennen.

Wie sind Sie auf diese wegweisende Idee gekommen?

Es ist das Ergebnis eines langen Weges. Ich habe über dreißig Jahre in der Unternehmenswelt verbracht, in leitenden Positionen in Industrie und Handel. Dabei habe ich zwei Welten beobachtet, die sich weitgehend parallel entwickelt haben: die Wirtschaft – stark, aber oft auf der Suche nach Sinn – und die Zivilgesellschaft – reich an Ideen, aber zunehmend verletzlich.

Also ein Befund der Spaltung, könnte man sagen?

Ja, eine Kluft zwischen Effizienz und Nützlichkeit. Und mir wurde klar, dass eine Brücke zwischen beiden fehlt. Diese Brücke ist die Kooperation. Sie ermöglicht es, einen Teil der wirtschaftlichen Leistung in gesellschaftliche Wirkung zu verwandeln, Arbeitsplätze zu schaffen und den sozialen Zusammenhalt auf lokaler wie nationaler Ebene zu stärken.

Und genau das wollten Sie dann in ein Modell überführen?

Ganz genau. Meine Forschungs- und Praxiserfahrungen – insbesondere in meinem Buch Anders denken: Unternehmen, Gesellschaft und nachhaltiger Kapitalismus – haben mich dazu geführt, ein Modell zu entwickeln, das den Gegensatz zwischen Gewinnstreben und Gemeinwohl überwindet. SocietyVision ist heute die konkrete Umsetzung dieses Modells. Es handelt sich nicht um eine theoretische Idee, sondern um eine Antwort auf die Sinnkrise, die viele Unternehmerinnen, Unternehmer und Mitarbeitende erleben. Unser Engagement mit Pascal Masapollo und seinem Unternehmen PIMAS SA zeigt beispielhaft, was möglich ist. Es ist zugleich Motor und Beweis dafür, dass sich klassische Modelle transformieren lassen. Der Start unserer Initiative zur steuerlichen Abzugsfähigkeit des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen spiegelt unseren Willen wider, diese Ansätze zu vervielfachen und auf eine neue, strukturiertere und systemischere Ebene zu heben.

Und wer sind Sie – der Mensch hinter diesem Ansatz?

Ich sehe mich als Brückenbauer. Meine Aufgabe ist es, Welten zu verbinden, die Welt der Wirtschaft und die des Sinns. Nachhaltige Transformation entsteht nicht durch Konfrontation, sondern durch Kooperation. Es geht darum, die Stärken der Beteiligten zu bündeln und sich die Frage nach dem Sinn unseres Handelns und dem Vermächtnis an kommende Generationen zu stellen. Mein beruflicher Weg hat mich das gelehrt. Kooperation ist keine Option mehr, sondern eine dringliche Notwendigkeit in unserer heutigen Zeit. Sie erfordert intellektuelle Strenge und gegenseitigen Respekt.

Man könnte sagen, Sie sprechen von einer „kooperativen Revolution“ – wenn man zwischen den Zeilen liest.

Ja, denn ich glaube nicht mehr an Revolutionen von oben. Echte Transformationen entstehen vor Ort aus Kooperation und aus dem Dialog zwischen den Akteuren. SocietyVision ist die konkrete Verkörperung dieser Überzeugung: Wahrer Wohlstand bemisst sich nicht nur am Geldwert, sondern an gemeinsam geschaffenen Werten, an wiederhergestelltem Vertrauen und an neu belebter Zusammenarbeit.

Es ist an der Zeit, drei alltäglich gebrauchte Begriffe neu zu denken: Wachstum durch Fortschritt zu ersetzen, Wettbewerb durch Kooperation und Wert durch Werte (im Plural).

Abschließend: Welchen Appell richten Sie an Unternehmen und Entscheidungsträger?

Ich lade sie ein, den Schritt zu wagen und diese Initiative zu unterstützen; sie ist ein zentraler Baustein für die notwendige Transformation: den Mut zu haben, einen Teil der Besteuerung in konkretes Engagement zu verwandeln und Kooperation nicht länger als Belastung, sondern als Hebel für menschliches und wirtschaftliches Wachstum zu begreifen.

Unsere Fünfjahresvision ist klar: ein neues Wohlstandsmodell zu schaffen, in dem jeder in die Gesellschaft investierte Franken mehr zurückgibt, als er kostet an Wirkung, Zusammenhalt und gemeinsamer Zukunft.